[FONT="]Ich habe hier eine ausführliche Stellungnahme zu bieten; man verzeihe mir die Länge, aber ich hoffe, dass dem Argumentationsweg gefolgt werden kann:
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[FONT="]Was mich diesmal stört, möchte ich anhand eines unten vorgetragenen Beispiels illustrieren:[/FONT]
[FONT="]Man wirft Sarrazin Rassismus vor, weil er das sogenannte Juden-Gen ins Spiel bringt, oder weil er ergänzend dazu sinngemäß sagt, dass Dummheit (zu 50-80%) vererbbar, und dass es doch ein Unglück für die deutsche Kultur darstelle, dass sich dümmere Unterschichten stärken vermehrten als die klügeren (v.a. deutschstämmigen) dieser Gesellschaft. Ja, und dass die Kriminalität unter Ausländern, insb. aber unter muslimischen Migranten pro Kopf der Bevölkerung signifikant höher sei, als unter der deutschstämmigen Bevölkerung, sei kein Zufall, weil dümmere Menschen es halt nicht besser wüssten. Und so weiter und so fort.[/FONT]
[FONT="]Eindeutig ist, dass Sarrazins Argumentation darauf abzielt, Ausländer und Arme, als Berliner Finanzsenator v.a. Hartz4-Empfänger (siehe unten), zu diskriminieren. Wahrscheinlich besitzt er auch eine tief verinnerlichte rassistische Mentalität; schlimmer, er hält sie für seine Person nicht einmal für möglich. Doch etwas anderes ist viel schlimmer. Sarrazin bereitet den Faschismus vor und ausgerechnet seine Gegner helfen ihm dabei. Und wie tun sie das? Indem sie die von Sarrazin vorgetragenen Argumente, die sich auf Fakten stützen, zu widerlegen versuchen. Das wird einen späterer Erfolg einer rechten Partei wahrscheinlicher machen, gegen den wir dann alle anquengeln dürfen. Dann gíbt es wieder einen Grund mehr, auf die Straße zu gehen. Stöhn.[/FONT]
[FONT="]Nehmen wir ein Beispiel:[/FONT]
[FONT="]Sarrazin behauptet, muslimische - vor allem türkische - Migranten begehen pro Kopf der Bevölkerung mehr Straftaten als andere Bevölkerungsteile.[/FONT]
[FONT="]Indem man nun versucht, dieses Argument zu widerlegen, gibt man dem Sarrazin indirekt Recht. Denn was ist, wenn die Kriminalität tatsächlich höher liegt. Hat Sarrazin deshalb ein bisschen mehr Recht?[/FONT]
[FONT="]Dasselbe trifft auf Gen- oder Vererbbarkeitsargumente zu. Im Grunde auf alle Argumente, die er mit bevölkerungsrelevanten Fakten und Statistiken untermauert. Die Frage muss doch lauten: was ist, wenn er mit allen seinen oder der Mehrzahl seiner Fakten richtig liegt? Würde er mit seinem Buch dann insgesamt richtig(er) liegen? [/FONT]
[FONT="]Auf diese Frage gibt es für mich nur eine Antwort. Sarrazin liegt falsch und zwar unabhängig davon, ob seine angeführten Fakten stimmen oder nicht. [/FONT]
[FONT="]Mehr noch: sein Buch ist gefährlich und bereitet den Faschismus in einer Weise vor, wie wir es in der Weimarer Republik schon mal gehabt haben. Wir müssen seine Fakten gar nicht widerlegen, um das zu behaupten. Die Probleme liegen woanders. Sie liegen auf einer argumentativen Metaebene, die nicht danach fragt, was und woher ein Mensch kommt, welche Verdienste oder Unverdienste er hat, sondern wie wir miteinander, insbesondere mit Menschen umgehen, die wir nicht kennen oder die uns fremd sind. Und da sieht es in unserer Gesellschaft unabhängig von Sarrazin nicht gut aus. [/FONT]
[FONT="]Die Menschen, wir alle, sind auf Ausgrenzung (des Fremden) gepolt, noch dort, wo wir gegen Ausgrenzung anargumentieren. Und zwar weil wir glauben, Menschen entsprechend ihrer Verdienste oder Unverdienste behandeln zu müssen. Nicht dass diese Mentalität in unsere privaten Beziehungen Eingang gefunden hat, ist schlimm, nein, schlimm ist, dass sie von dort in staatliche (überfamiliäre) Institutionen, v.a. ins Recht und die (stattliche) Rechtsprechung fließt. Und wir Dummerchen finden das ganz normal, weil wir das jeden Tag erleben und auch selber tun. Schließlich bezahlen wir Menschen jeden Tag nach ihrer Leistung; damit sich Leistung lohnt! [/FONT]
[FONT="]Mit anderen Worten; wir trennen nicht zwischen privater und gesellschaftlicher Ebene, vielleicht weil das in unseren Genen steckt? Ich höre die Leute bei der Begründung schon aufschreien. Ehrlich gesagt: mir sind die Gene scheiß egal. Ich halte eine Trennung der privaten und gesellschaftlichen Ebene zu analytischen Zwecken für unabdingbar als Voraussetzung, dass diese Trennung Eingang findet in gesellschaftliche (überfamiliäre) Strukturen. Wozu wir neigen ist das eine, nämlich Menschen aufgrund ihrer Verdienste mehr oder weniger zu lieben, mit mehr oder weniger Aufmerksamkeit zu belohnen; etwas anderes ist es, dass wir unsere Neigungen auf die gesellschaftliche Ebene übertragen dürfen. Unsere Mentalität neigt dazu, das Private, unsere (privaten) Gefühle, mit dem Gesellschaftlichen zu vermischen. Unsere privaten Neigungen haben aber auf der Gesellschaftlichen Ebene nichts zu suchen. [/FONT]
[FONT="]Zurück auf den Punkt: es sollte der Grundsatz gelten, dass auf der überfamiliären Ebene jeder Mensch ein Recht auf Gleichbehandlung unabhängig von seiner Herkunft und seinen (Un-)Verdiensten hat. Punkt. Nun, auf der privaten Ebene neigen wir ganz natürlich dazu, mit Menschen zusammenzukommen, die uns gefallen, während wir dem Befremdlichen skeptisch gegenüberstenen. Wie auch anders. Schließlich suche ich mir meine privaten Freunde aus nach bestimmtenm (ausgrenzenden) Kriterien (Verdiensten). [/FONT]
[FONT="]Nun, Sarrazins Argumentationsweise und die Art, wie seine Gegner und wir darauf reagieren, lässt den Eindruck aufkommen, als würde der Grundsatz auf Gleichbehandlung im überfamiliären Kontext eine Wahrheit ohne Wenn und Aber nicht zum Ausdruck bringen, als hätte Sarrazin mit seiner Respektlosigkeit, bzw. Ausgrenzung Armen und Ausländern gegenüber vielleicht wenigstens ein bisschen Recht, eben wenn nur die dargestellten Fakten in seinem Buch stimmen würden. [/FONT]
[FONT="]Was ist, wenn weniger Intelligenz oder weniger Leistungsbereitschaft tatsächlich vererbbar sind und unter den Migranten überdurchschnittlich vorkommen? Haben sie deshalb weniger Gleichbehandlung (Grundrechte oder Respekt) verdient? Möglicherweise ist die Kriminalitätsrate unter Migranten tatsächlich höher. Ja, was ist, wenn das tatsächlich stimmt? Wahrscheinllich stimmt das sogar. Ehrlich gesagt, es ist mir scheißegal, ob's stimmt oder nicht. Es interessiert mich einfach nicht. Schon gar nicht würde ich über so einen Scheiß diskutieren. Sollen Migranten vielleicht deshalb weniger Kinder zeugen oder gebären dürfen als Menschen, die sich für Mittelstand oder intelligenter halten?[/FONT]
[FONT="]Henryk Broder hat auf die Frage, ob er glaube, dass er mit einem jüdischen Gen ausgestattet sei, in einer erfrischend entwaffnenden Weise geantwortet: "Das ist mit scheißegal."[/FONT]
[FONT="]So sollten wir es halten. Sarrazins Buch ist kompletter Unsinn, unabhängig davon, ob seine dargestellten Fakten stimmen; die Fakten in seinem Buch sind völlig unschuldig, sie dürfen sogar richtig sein. Aber Sarrazin hilft mit seiner Mentalität, die in seinem Buch zweifellos zum Ausdruck kommt, einen immer noch möglichen Faschismus vorzubereiten. Der Typ ist gefährlich.[/FONT]
[FONT="]Aber er ist nicht der einzige, der gefährlich ist. Für Politiker, die die Hartz4-Gesetze eingeführt haben: z.B. Schröder/Fischer/Künast/Roth/Özdemir, gilt das in analoger Weise, auch wenn sie sich jetzt über Sarrazin aufregen. Sie haben mehr gemein mit ihm als ihnen bewusst sein mag. Sie haben Hartz4 eingeführt. Hartz4 hat massiv dazu beigetragen, dass der Ausgegrenzte sich als Mensch zweiter Klasse fühlen muss. Nicht dass es Ausgrenzung nicht auch schon vorher gegeben hätte. Schlimm ist, dass mit Hartz4 die Ausgrenzung nunmehr für alle sichtbar und eindeutiger als je zuvor im Recht codifiziert worden ist. Das kann man den Grünen und der SPD nicht verzeihen. Man kann heute weder bei den Grünen noch in der SPD aktiv sein und ernsthaft glauben, man sei ein politisch Mensch, der in sich stimmig zu denken vermag. Für "Die Linke" gilt dasselbe.[/FONT]